Leben im SLW: Das Thema „Herzensbildung“ wird groß geschrieben im Walburgisheim in Feucht
Feucht. Die Dinos sind los: In der Bauecke haben sie ein großes Gehege bekommen und leben friedlich neben Pferden und Schafen, Löwen und Pinguinen. Drumherum Mauern aus Holzklötzen und dazwischen – wie bei einem Kunstwerk – jede Menge Glitzersteine. Möglichkeiten zum Entfalten und für Fantasie, Neugierde und Entdeckerfreude gibt es reichlich im Kindergarten des Walburgisheims in Feucht im Nürnberger Land.
Das Kind im Mittelpunkt
Ebenso wie in den anderen Einrichtungen, die unter dem Dach des Walburgisheims vereint sind und sich neben Kindergarten in eine Kindertagesstätte mit Krippe, Hort und Angebote der stationären Jugendhilfe mit heilpädagogischen und therapeutischen Wohngruppen, Betreutem Wohnen sowie ambulanten Hilfen zur Erziehung gliedert. „Wir wollen die Kinder zu glücklichen, selbstständigen und selbstbewussten Menschen erziehen“, sagt Kindergartenleitung Kerstin Nöth. Ein Anliegen, das sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen aller Bereiche teilt: Denn ihnen allen geht es darum, dass die ihnen anvertrauten Kinder langfristig in der Lage sind, Verantwortung für sich, ihre Umwelt und andere Menschen zu übernehmen. „Herzensbildung“ nennt man das beim Walburgisheim – der Erziehungsschwerpunkt liegt dabei auf dem Sozial-Emotionalen: Wer über ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz verfüge, entwickle umso eher Resilienz gegenüber Rückschlägen und Widrigkeiten und sei umso mehr in der Lage, das eigene geistige Potenzial voll auszuschöpfen, so die pädagogischen Fachkräfte.
Wertschätzung auf Augenhöhe
Im Walburgisheim versucht man dieses Ziel, dem Anderen wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen, gleich an mehreren Stellen und verschiedene Altersklassen betreffend, umzusetzen – beginnend schon bei den Kleinsten in der Krippe, die Kinder ab einem halben Jahr aufnimmt. Seit zwei Jahren ist Leiterin Sophie Bozek für alle vier Gruppen zuständig. In ihrem Team und in einer Atmosphäre von Vertrauen und Geborgenheit legt die 37-Jährige Wert auf eine empathische Pädagogik, bei der die Kinder von klein auf mit ins Boot geholt werden. „Beziehung zum Kind und Ganzheitlichkeit sind uns wichtig“, erklärt die Mutter zweier Kinder. Daher: Augenkontakt schon beim Wickeln. Keine Automatisierung der Abläufe. Behutsam und achtsam begleiten. Kein unnötiges Eingreifen. Freies Spiel, für Anreize sorgen, aber nicht zu viel vorgeben. Enger Austausch mit den Eltern. „Die Kinder dürfen und sollen sich ausprobieren“, betont Bozek. Dazu gehöre auch: „aus eigenem Willen und eigener Kraft laufen lernen – und dabei auch hinfallen dürfen“, erklärt die Sozialpädagogin. Ihr ist wichtig: „Jedes Kind in seinem eigenen Tempo.“
Integrativ ausgerichteter Kindergarten
Dieses Bestreben setzt sich im integrativ ausgerichteten Kindergarten fort. Hier spielt insbesondere die Interaktion unter den Kindern, die alle gleichermaßen willkommen sind, eine große Rolle; sie dürfen und sollen ihren Spiel-Impulsen folgen – unterstützt wird dies über ein teiloffenes Konzept. Das heißt: „Die Kinder sind zwar festen Gruppen zugeordnet, dürfen aber in der Freispielzeit alle Räume des Kindergartens nutzen“, wie Kindergartenleitung Kerstin Nöth erklärt: Während es manche in die Bauecke und zu den Dinos zieht, nutzen andere den großen Rollenspielbereich oder malen im Atelier. „Wir verzichten ganz bewusst auf Programm-Pädagogik“, sagt Nöth – und bringt ein Beispiel: „Es müssen nicht alle auf Knopfdruck den Igel basteln.“ Die Kinder dürften aus eigenem Antrieb heraus entscheiden, was sie wann machen möchten; sie dürften ihren Neigungen und Interessen folgen. „Das kann auch bedeuten, dass manche Kinder einfach gar keinen Igel basteln – woran sich wiederum manche Eltern gewöhnen müssen“, betont die 47-Jährige: „Für das Kind ist dann eben gerade was anderes dran – zum Beispiel die Erfahrung, wie viel Wasser ich nehmen muss, damit das Papier beim Malen mit Wasserfarben nicht total durchweicht.“ Wichtig(er) seien letztlich selbstständiges Handeln und lösungsorientierte Kompetenzen. „So lassen sie sich nicht so schnell entmutigen, stehen sozial stark da und trauen sich etwas zu.“ Das sei nicht zuletzt in der Schule eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit, weiß die erfahrene Pädagogin. „Die Kinder gehen mit dem Gefühl hier raus: Ich kann was erreichen!“
Hort: Raum voller Möglichkeiten
An diesen Gedanken knüpft man auch im Hort an, der ebenfalls auf dem Gelände des Walburgisheims untergebracht ist. Pädagoge Robin Prießner hat den Überblick: Wer sitzt noch am Esstisch, wer schon bei den Hausaufgaben, für wen geht es raus zum Spielen? Lego und Carrera-Bahn, Inline-Skater, Playmobil und Toberaum: Auch hier gibt es viele Möglichkeiten für die Grundschulkinder, ihre Zeit nach dem Unterricht relativ frei zu gestalten. „Wir setzen hier auf größtmögliche Selbstbestimmung“, erklärt Hortleitung Manuela Germershausen: „Die Kinder dürfen frei ihre Gefühle äußern und bekommen nichts aufgedrückt – wenn es zum Beispiel darum geht, ob und mit wem sie ihren Geburtstag im Hort feiern wollen.“ Solche Dinge könne jedes Kind für sich entscheiden, so Germershausen. Sie schätzt das hohe Maß an Rücksicht, mit dem viele Kinder nach dem Übergang in Schule und Hort ausgestattet seien.
Jedes einzelne Zahnrad ist wichtig
Für Florian Heckl als Gesamtleiter und Letztverantwortlicher vor Ort mit rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht fest: „Jedes einzelne Zahnrad ist wichtig, jeder und jede Einzelne – von der Verwaltung über die Reinigungskräfte bis hin zum Pädagogen- und Psychologen-Team.“ Die Erziehung von Kindern sei eine riesige und immer komplexer werdende Aufgabe, bei der viele Menschen – auch im Kleinen – etwas bewirken könnten. Deutlich sieht Heckl, dass das „System Familie“ vielerorts Unterstützung brauche, speziell im Bereich der Jugendhilfe: „Häufig sind Eltern, die teilweise nur bedingt erziehungsfähig sind, die Herausforderung. Da muss man dann erst mal an den Kern heran – Eltern müssen erkennen und verinnerlichen, dass ihr Verhalten wichtig ist fürs Kind.“ Doch Heckl weiß auch: „Der Bedarf von Angeboten wie unseren, die mit hohem pädagogischen Anspruch einher gehen, ist riesig und an der Kapazitätsgrenze. Leider geht es auch im pädagogischen Bereich viel zu oft ums Geld.“ Er wünscht sich: „dass Politik und Verantwortungsträger mehr aus dem Blickwinkel der Kinder schauen und verstehen, dass diese Kinder die Zukunft von morgen sind.“
Ulrike Schwerdtfeger