"Können Sie auch Dreijährige aufnehmen?"

Leben im SLW: Die Nachfrage nach Heimplätzen für Kinder ab drei Jahren ist enorm. Deshalb eröffnete das Franziskushaus in Altötting die neue Wohngruppe „Krümel“. 

Altötting. Noch steht das große gelbe Haus an der Kreszentiaheimstraße am östlichen Stadtrand von Altötting leer. Auf dem weißgefliesten Boden liegen tote Fliegen. Bald werden sie vom Staub der Bauarbeiten überdeckt sein. Damit die drei Etagen barrierefrei erreichbar sind, soll ein Aufzug eingebaut werden. Im Frühjahr 2022 kaufte die Stiftung SLW das ehemalige Jugendwohnheim den
Schwestern vom Hl. Kreuz ab. Im September, so war der ursprüngliche Plan, sollten hier Kinder im Alter zwischen ein und 16 Jahren durchs Haus toben. Doch obwohl die Renovierungsarbeiten überschaubar sind: Neue Brandschutzvorgaben, eine Nutzungsänderung im Erdgeschoss, wo die Stadt Altötting zwei Krippen- und eine Kindergartengruppe unterbringen möchte, und der Mangel an Handwerkern zögerten die wichtigsten Umbaumaßnahmen hinaus.

Leben in der Kleinkind-Wohngruppe "Krümel"

„Ich gehe davon aus, dass wir im April 2023 mit dem Betrieb starten können“, sagt Frank Einwanger. Der pädagogische Leiter des Franziskushauses weiß, wie dringend die sieben Plätze in der neuen Wohngruppe „Krümel“ benötigt werden. In Deutschland müssen pro Tag 99 Kinder und Jugendliche ihre Familien verlassen. Laut Statistischem Bundesamt holen sie die Mitarbeiter vom Jugendamt
am häufigsten ab, weil die Eltern überfordert sind. Weil es Anzeichen für Vernachlässigung gibt oder Hinweise auf körperliche oder psychische Gewalt. Auch Beziehungsprobleme zwischen den Eltern spielen eine Rolle. Und sexueller Missbrauch. „Da passieren Dinge, von denen wir nicht glauben wollen, dass sie im Deutschland des 21. Jahrhunderts existieren“, sagt Frank Einwanger. Der Sozialpädagoge kennt Kinder, die in vermüllten Wohnungen hausen, der Kühlschrank leer, die Eltern voll. Sie wachsen auf im Dreck oder im Dunst von Alkohol und Drogen. Ein Kind aus der Familie zu nehmen, ist das letzte Mittel, um ihm zu helfen. Oft melden sich die Jugendamtsmitarbeiter dann bei Frank Einwanger. Weil sich die Anfragen nach Heimplätzen für unter Sechsjährige häuften, suchte er gemeinsam mit dem Altöttinger Jugendamtsleiter bereits 2019 das Gespräch mit der Heimaufsicht der Regierung von Oberbayern. „Wir haben uns dem Thema mit großem Respekt genähert“, erinnert sich Einwanger und erklärt: „Für so junge Kinder wäre eine Unterbringung in Pflegefamilien absolut wünschenswert. Aber davon gibt es leider zu wenig.“

Anfangs geht es vor allem darum, Beziehung und Vertrauen aufzubauen.

Nun hat der 62-Jährige ein Konzept für eine heilpädagogische Wohngruppe erarbeitet, die sieben Kindern ab drei Jahren ein Zuhause auf Zeit bieten soll. Einwanger geht davon aus, dass die Kinder viel Unterstützung in alltäglichen Bereichen brauchen werden. Dass eine intensive Förderung sowohl sprachlich wie motorisch nötig ist. Und dass vor allem die sozial-emotionalen Entwicklungsdefizite das Team fordern werden. Doch auch wenn die Voranfragen der Jugendämter alle in dieselbe Richtung weisen, sagt Einwanger: „Wir müssen sehr individuell denken und
handeln, weil keines dieser Kinder eine vergleichbare Geschichte hat. Der einzige gemeinsame Nenner ist Strukturlosigkeit. Diese Buben und Mädchen sind es nicht gewohnt, drei Mal am Tag etwas zu essen oder gemeinsam am Tisch zu sitzen. Die kennen Chips zum Frühstück. Oder essen das fliegenumschwärmte Marmeladenbrot, das vom Vortag noch rumsteht.“

Für die mindestens sieben Pädagogen der Wohngruppe, die sich im Schichtdienst um die Kinder kümmern und von einer hauswirtschaftlichen Fachkraft und einer Psychologin unterstützt werden, geht es anfangs vor allem darum, Beziehung und Vertrauen aufzubauen. „Die ersten Erfahrungen, die wir ermöglichen wollen, sind: Du bist bei uns in Sicherheit. Du bist uns nicht egal. Du kannst dich auf uns verlassen. Manche dieser Kinder sind nachts allein zu Hause“, erzählt Einwanger. „Wenn sie weinen, verzweifelt nach Mama oder Papa rufen, kommt niemand an ihr Bett zum Trösten.“ Der Sozialpädagoge, der selbst 20 Jahre in Wohngruppen gearbeitet hat, bezeichnet die künftigen „Krümel“- Kinder als Überlebenskünstler: „Die haben eine Biografie hinter sich, die sie dazu gezwungen hat, sich anzupassen. Das sind häufig sehr distanzlose Kinder. Die haben in den seltensten Fällen eine sichere Bindung erlebt. Trotzdem ist es auch für sie eine traumatische Situation, von ihren Eltern getrennt zu werden. Natürlich vermissen sie Mama oder Papa.“ Sofern das Jugendamt kein Kontaktverbot ausspricht, sollen die Kinder deshalb ihre Eltern regelmäßig treffen. „Sie dürfen den Bezug zu ihnen auf keinen Fall verlieren. Unser oberstes Ziel ist ja die Rückführung des Kindes in die Familie.“ Bis ins kleinste Detail lasse sich das vorab allerdings nicht planen. „Wir müssen flexibel Wege finden. Sei es, dass die Mama zwei Mal pro Woche für eine Stunde zu Besuch in die Wohngruppe kommt. Oder eine Mitarbeiterin das Kind zu einem Treffen auf dem Spielplatz begleitet.“

Klar ist: Die Herausforderungen in der Krümel-Gruppe sind komplex. Frank Einwanger ist froh, dass er fünf Stellen im Team schon besetzt hat. Die Psychologin und vier Pädagoginnen – alle arbeiten bereits in verschiedenen Einrichtungen im Franziskushaus – treffen sich bereits, um sich über das Konzept auszutauschen. Nach Möglichkeit will Einwanger im April erst mal nur vier Kinder in einem ähnlichen Alter aufnehmen. „Das würde allen den Start erleichtern“, sagt er. Ob sich dieser Plan allerdings realisieren lässt, ist unklar. Denn die Anfragen häufen sich schon jetzt auf seinem Tisch. Beate Spindler

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